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Carl Michael Bellman (1740–1795) und seine Musik

Carl Michael Bellman war ein Stockholmer Dichter, der einen beträchtlichen Teil seines lyrischen Werks zusammen mit Musik herausgebracht hat. Seine Lieder entstanden ursprünglich aus Improvisationen im Kreis von Freunden, Gesellschaften, Kneipen­publikum. Dabei ist manchmal nicht zu unterscheiden, was zuerst da war: die Melodie oder der Text. Gewiß hat Bellman bekannte Melodien aus Vaudevilles, Singspielen, Opern verwendet; aber er hat sie auch entscheidend verändert, seinen Worten angepaßt, parodiert und umkomponiert. Für manche Kompositionen sind Quellen nicht nachweisbar, und das bedeutet wohl, dass Bellman auch selbst Melodien erfand.
Woran auch immer seine Improvisationskunst sich entzündete – an einer vorgefundenen Melodie oder einem eigenem Vers: Bellman hat seine Texte später kunstvoll ausgebaut, überarbeitet, poliert, bis die Kleinode entstanden, als die sie heute noch vorliegen.

In den Jahren 1790 und 1791 brachte er seine zwei grossen Liedersammlungen heraus: Fredmans Sånger, und Fredmans Epistlar (Fredmans Lieder und Fredmans Episteln), wobei letztere seine bekanntesten Werke enthalten. Im Ganzen sind es 147 – und das Schlußstück der Episteln – Weile an dieser Quelle – ist auch in Deutschland durchaus bekannt. (Obwohl man den Autor meist nicht kennt). In Schweden sind seine Liedersammlungen echte Volksbücher. In Bellmans Heimat werden seine Lieder bis heute gesungen und aufgeführt: Mit großer Besetzung etwa bei akademischen Feiern, in einfacher Form bei Familientreffen, Parties, Geburtstagen – wo immer die Gelegenheit zum Singen gegeben ist. Bellmans Poesie drückt schwedisches Lebensgefühl, Lebensfreude und Melancholie heute noch aus, ist lebendige Tradition.

Bellman sang in Kneipen und vor dem König – der ihm den Ehrentitel Schwedischer Anachreon verlieh. In der Tat scheint in seinen Gedichten ein ewiger Sommer zu herrschen. Bellman beschreibt und besingt das alltägliche Leben in den Stockholmer Straßen und Kneipen (zu seiner Zeit gab es von letzteren etwa 700); aber auch die Ausflüge und Landpartien, die damals anscheinend bei der Stadtbevölkerung so beliebt waren wie heute.
Dabei wirft er sozusagen einen Rokkokoschleier über seine Sujets: Bacchus ist der Leitstern des Trinkers; Prostituierte werden zu Nymphen; Schankwirtinnen zu Nornen; die dreckige Kneipe zu einem mythischen Szenarium – wobei griechisch – römische und germanische Mythologie unbefangen vermischt werden.
Dennoch schimmert die lust – und qualvolle, von Armut und unmittelbarer Sinnlichkeit, trotziger Lebenslust und ebensolcher Todesverachtung geprägte Realität der Stockholmer Gossen und Gassen immer wieder durch. Und das macht Bellmans Musik bis heute zu einem anregenden und faszinierenden Kunst – Stück.

Ernst List